Donnerstag, 12. Juli 2012

Graustufen in Schwarz-Weiß

"Shades of Grey" heißt die Roman-Trilogie der Autorin E. L. James, deren erster Teil ("Geheimes Verlangen") nun auch auf Deutsch erschienen ist. Landauf, landab entspnnt sich dieser Tage eine rege Diskussion darüber, wie es sein kann, daß der weltweite Verkaufserfolg in derartig krassem Gegensatz zum schriftstellerischen Niveau (dieses soll im Bereich von Heftchen-Romanen angesiedelt sein) steht. Entstanden ist die Reihe, weil die Autorin die Liebesgeschichte in der "Twilight Saga" so dröge fand, daß sie Edward und Bella mit einigen handfesteren Details gepimpte Sex-Szenen als Fanfiction auf die wollüstigen Leiber schrieb.

Selbst habe ich das Buch noch nicht gelesen, erhoffe mir aber in absehbarer Zeit eine Rezension von Feuerlilie.

Es fällt allerdings auf, daß in einem Atemzug mit dem literarischen Verriss auch gebetsmühlenartig das Entsetzen der vermeintlich antiemanzipatorische Ansatz des Buches beweint wird.
In einem längeren Radiobeitrag auf HR 2 merkte ein vom Weltschmerz geplagter Soziologe an, daß zwar in "Shades of Grey" das gleiche Grundmuster wie in "Pretty Woman" auftaucht - Frau angelt sich reichen, sexuell begehrenswerten und begierigen Mann -, daß aber die Protagonistin damals wenigstens eine sexuell bereits sehr selbständige und erfahrene Prostituierte war, die ihrem Gegenpart auf Augenhöhe begegnen kann. Dagegen muss Anastasia Steele von Christian Grey erst noch entjungfert werden. Zumindest, so der HR-Soziologe, und das sei ein gewisser Hoffnungsschimmer, habe sie, um ihrem Namen gerecht zu werden, "stahlhart" mit Herrn Grey über die Klauseln in ihrem Sklavinnen-Vertrag gefeilscht.

Ob der in England unter den spöttischen Genrebegriff "mommyporn" gefasste Roman tatsächlich das Zeug hat, die Errungenschaften der Emanzipation in der westlichen Welt in Frage zu stellen, sei bezweifelt. Immerhin, so wusste der HR-Beitrag noch zu berichten, seien nach den Absatzzahlen für das Buch (15 Millionen Exemplare in drei Monaten) auch die für SM-Spielzeug in die Höhe geschossen, und zwar dermaßen, daß eine Reihe von Artikeln gegenwärtig restlos ausverkauft sei.
Es gibt also Hoffnung...

Ansonsten müht sich der HR-Beitrag am Klischeedenken der Redakteure ab.
Entegegen dem Ratschlag, ein Buch nie nur nach dem Einbad zu beurteilen, klickt sich ein Radiosprecher auf die Zugangsseite der "Skalvenzentrale" und amüsiert sich zunächst noch über die Wahlmöglichkeiten, sich entweder als SM-erfahrenen oder -unerfahrenen Erwachsenen einschätzen zu dürfen oder gleich als Minderjährigen. Hier verfällt er ins gouvernantenhaft Empörte, als er feststellt, dass es SM-Seiten für Minderjährige gibt. Wie jeder padägogisch halbwegs gebildete Radiohörer weiß auch er: Nur weil es so Seiten gibt, kommen die Kinder auf so dumme Gedanken... und nicht umgekehrt!
Als er sich dann mannhaft dranmacht, durch das Tor für Erwachsene zu schreiten, fällt ihm als erstes die enorme Freizügigkeit der Darstellungen in Wort und Bild auf. Mit der Auswahl der vorgetragenen Kontakt- und Veranstaltungsanzeigen schafft er es tatsächlich, der geneigten Hörerschaft das zu vermitteln, was diese schon immer wusste: Dieses Sadomaso ist auch nur Rudelbumms, wie in irgendeinem schmuddeligen Swinger-Club, nur in Lederklamotten und mit Peitsche in der Hand.

Aber er hat die Mutprobe bestanden und sich zur "SZ" durchgeklickt, während der Moderatorin im Verlauf des Telefonats mit Kathrin Passig (Bachmann-Preisträgerin und Autorin des Buches "Die Wahl der Qual") das ungeschriebene Motto der Sendung herausrutschte: "...ich versuche hier, Klischees zu verbreiten... ich meine natürlich: ich versuche hier NICHT, Klischees zu verbreiten, aber..."

HR 2 ist der Kulturkanal des Hessischen Rundfunks. Als Fazit der Sendung behielt man im Gedächtnis, daß "Shades of Grey" kein Phänomen einer gewachsenen Entspanntheit im gesellschaftlichen Umgang mit SM ist, sondern Spiegelbild der unerfüllten sexuellen Wünsche von Hausfrauen aus dem, vornehmlich, US-amerikanischen Mittelstand.
Damit wird man erst einmal leben müssen, solange, bis sich ein Stück SM-Literatur ähnlich gut verkauft, das kein Produkt der "Fanfiction" zu einem Teenager-Vampirroman ist.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen